Forscher mit kurzen braunen Haaren trägt Schutzbrille mit roten Gläsern und steht vor einer Anlage mit vielen Kabeln und Röhren.
Thorsten Schumms Kollege Johannes Tiedau im Labor der TU Wien.
PTB

Es ist für den Physiker Thorsten Schumm von der Technischen Universität Wien der erfolgreiche Abschluss eines Projekts, das 2009 begann. "Ich habe mich irgendwann da daraufgesetzt und gesagt, das kriegen wir jetzt hin", sagt Schumm. Sein Team schaffte es, mit einem Laser gezielt ins Innere eines Atomkerns einzugreifen und dort einen Übergang zu einem höheren Anregungszustand zu provozieren. Fachleute hatten davon seit Jahrzehnten geträumt.

Für das neue Experiment, über das Schumms Team in einer soeben im Fachjournal Physical Review Letters erschienenen Studie berichtet, wurden Kristalle mit dem Element Thorium verwendet. Es geht um eine besondere Variante des Elements, das in verschiedenen "Isotopen" mit unterschiedlicher Neutronenzahl vorkommt. Manche Thorium-Isotope fanden in der Vergangenheit auch technischen Einsatz, etwa als Glühstrümpfe, trotz der leichten Radioaktivität des Materials.

Nahe benachbarte Energieniveaus

Schumm interessiert sich für Thorium 229 wegen einer ganz speziellen Eigenschaft. Um sie zu verstehen, braucht es ein Bild aus der Quantenphysik. Obwohl Atome und ihr Inneres in vieler Hinsicht Planetensystemen ähneln, bewegen sie sich nicht auf komplexen Bahnen, sondern sind auf bestimmte Energieniveaus eingeschränkt. Diese Eigenschaft macht sie weniger anschaulich, ist aber für die Stabilität aller chemischen Verbindungen verantwortlich, die dafür sorgt, dass die Atome unserer Körper nicht auseinanderfallen.

Wenn Teilchen, etwa Elektronen, zwischen diesen Energieniveaus hin- und herwechseln, senden sie Licht aus oder nehmen Licht auf. Das ist etwa das Funktionsprinzip von Gasentladungslampen. Normalerweise passiert das aber nur im Äußeren des Atoms, in der Elektronenhülle. Die Bestandteile des im Vergleich dazu winzigen Kerns, die Protonen und Neutronen, sind viel zu stark gebunden. Einem Atomkern kann man zwar so viel "Gewalt" antun, dass er gespalten wird, ansonsten ist er aber enorm stabil. Alle Phänomene unseres Alltags, inklusive der gesamten Welt der Chemie, betreffen Vorgänge der Elektronen. Die Atomkerne bleiben unverändert.

Diese Regel galt zumindest bis jetzt. Denn Thorium 229 ist bekannt dafür, dass es zwei besonders nah beieinanderliegende Energieniveaus besitzt, zwischen denen mit Lasern ein Übergang ausgelöst werden könnte. Die Vermutung, dass Derartiges mit genau diesem Element möglich sein könnte, gibt es seit langer Zeit. Nun ist es Schumm und seinem Team tatsächlich gelungen, einen einzelnen Kernbaustein mithilfe von Licht so anzuregen, dass er auf ein höheres Energieniveau gehoben wird wie ein Elektron im Edelgas einer Gasentladungslampe.

Forscher Thorsten Schumm, der kurze braune Haare hat und einen dunkelblauen Anzug trägt, hält zwei runde, durchsichtige Scheiben, die wie Glas aussehen, zwischen den Fingern.
Thorsten Schumm mit zwei thoriumhaltigen Kristallen, wie sie für das erfolgreiche Experiment verwendet wurden.
Foto Wilke

Exakt richtige Frequenz gesucht

"Die Kunst besteht darin, diese eine Resonanz zu finden. Wenn ich nicht bei der richtigen Frequenz einstrahle, reagiert der Atomkern überhaupt nicht", sagt Schumm. "Wir haben darauf hingearbeitet, dieses Frequenzintervall immer weiter einzugrenzen und Informationen zu sammeln, wo diese Anregungsfrequenz sein könnte", so Schumm. Der Durchbruch dabei gelang letztes Jahr. Da fand eine internationale Kollaboration mit Beteiligung von Schumms Team am Kernforschungszentrum Cern die richtige Frequenz.

Doch bis tatsächlich die Bausteine des Atomkerns angeregt werden konnten, war noch einiges an Experimentieren nötig, betont Schumm. "Die Suche selber hat dann immer noch viele, viele Monate gedauert, in der wir die Frequenz leicht verstellt haben und immer wieder versucht haben, anzuregen", sagt Schumm.

Der Nachweis der gelungenen Anregung sei dann gar nicht so einfach zu erbringen gewesen. "Der Thoriumkern behält diese Anregungsenergie nämlich zehn Minuten bei sich, bevor er das Photon wieder abstrahlt", erklärt der Physiker.

Wettlauf entschieden

In den letzten Monaten lieferte man sich einen Wettlauf mit einer Gruppe in Kalifornien. "Wir befinden uns mit ihnen in einem freundlichen Wettstreit", sagt Schumm. Wie im Spitzensport habe man großen Respekt voreinander, "aber natürlich will man dann doch selbst der Erste sein", betont der Physiker.

Schumm weist darauf hin, dass nun, da die Frequenz bekannt sei, Gruppen in aller Welt das Verfahren anwenden könnten. Das sei nicht einmal extrem aufwendig, es handle sich um ein Experiment, das auf einem Tisch Platz hat, im Gegensatz zu Großexperimenten in riesigen Teilchenbeschleunigern. Tatsächlich ist es Schumms Konkurrenten bereits gelungen, das Ergebnis zu reproduzieren. Diese Arbeit wurde bereits als Preprint veröffentlicht und befindet sich derzeit in Begutachtung zur Publikation im Fachjournal Physical Review Letters.

In einem transparenten Würfel sieht man grüne und blaue Teile eines Thoriumkristalls, durch die ein pinker Lichtstrahl führt
Diese künstlerische Darstellung zeigt einen Thoriumkristall, dessen Atomkerne mit Lasern angeregt wurden.
Oliver Diekmann, TU Wien

Reste aus Atomwaffenforschung

Schumm lobt das gute Umfeld, das den Durchbruch ermöglicht habe. "An der TU Wien am Atominstitut betreiben wir einen österreichischen Forschungsreaktor in Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde. Das ermöglicht es mir, mit diesen seltenen, leicht radioaktiven Elementen zu arbeiten." Nicht jeder dürfe das, so Schumm.

Es gibt auch hervorragende Beziehungen zum US-Department of Energy, der US-amerikanischen Energiebehörde. "Das Material kommt nämlich ursprünglich vom Manhattan Project", erzählt Schumm. Es handle sich quasi um ein Abfallprodukt von der Entwicklung der ersten Atombombe durch Robert Oppenheimers Team. "Da liegt relativ viel Uran 233 und das zerfällt über die Zeit zu Thorium 229. Das ist auch die einzige ausreichend große Bezugsquelle, die es gibt", sagt der Physiker. Das Material sei sehr selten, es gebe auf dem Planeten nur zwischen zehn und 100 Milligramm in einer solchen Form, dass es für Schumms Forschungen verwendbar wäre.

Im Gegensatz zu vielen Grundlagenergebnissen bietet dieser Durchbruch eine klare Anwendungsperspektive. Atome sind schon jetzt die Grundlage für extrem genaue Uhren. Die GPS-Satelliten etwa haben Atomuhren an Bord, die eine Anregungsfrequenz der Elektronenhülle von Atomen nutzen, um die Laufzeit von Licht zu messen und so extrem genaue Positionsbestimmungen zu ermöglichen. Statt wie bei einer Gasentladungslampe Licht zu gewinnen, wird hier die abgestrahlte Lichtfrequenz eines Atoms zur Zeitmessung genutzt.

Schneller tickende Uhr

Die Thorium-Anregung erlaubt es, dasselbe Verfahren in den Atomkern zu verlagern, der extrem viel kleiner ist. Der Gewinn an Genauigkeit wäre enorm, sagt Schumm: "Ich will jetzt nicht den berühmten Quantensprung zitieren, aber es ist ein riesiger Schritt." Im Prinzip handelt es sich um einen Übergang zu einer Uhr, die um ein Vielfaches schneller tickt.

Zwar ist auch mit bisherigen Technologien im Prinzip eine ähnliche Genauigkeit möglich, aber Thorium hat den Vorteil, dass es während des Verfahrens in einem Kristall gebunden ist. In einem Satellitennavigationssystem wäre die Änderung sofort spürbar. "Wenn Sie ein autonom fahrendes Auto mit einer Genauigkeit von einigen Metern einparken wollen, wird das nicht gut ausgehen", schmunzelt Schumm. Mit Thoriumuhren könnten für Satellitennavigation Genauigkeiten von Zentimetern oder Millimetern möglich sein.

Das Ziel ist also eine Atomkern-Uhr, die bisherige Atomuhren ersetzt. Doch auch für die Grundlagenforschung ergeben sich neue Möglichkeiten. Die Vorgänge im Atomkern sind nicht nur von der elektrischen Anziehung, sondern auch von den Kernkräften bestimmt. Diese könnten so neuen Untersuchungen zugänglich werden. Präzisionsmessungen zur Frage, wie konstant Naturkonstanten sind, stehen ebenfalls im Raum.

Grüße nach Schweden

Auf die Frage, ob er überrascht von einem Anruf aus Schweden in den nächsten Jahren wäre, antwortet Schumm: "Die Frage, ob das nobelpreiswürdig ist, steht schon ein bisschen im Raum. Das Potenzial ist da." Er verweist aber auf lange Zeitskalen und auf gesellschaftliche Entwicklungen, die eine Rolle spielen, und die Frage der Auswirkung auf die allgemeine Bevölkerung. Man müsse sich ansehen, ob von der Arbeit, die gemeinsam mit einem Team der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Braunschweig durchgeführt wurde, tatsächlich ein Forschungsfeld angestoßen wird.

"Wesentlich ist, dass wir zeigen konnten, dass man Atomkerne mit Techniken manipulieren kann, die bisher verwendet worden sind, um andere Technologien zu ermöglichen", sagt Schumm. "Da gibt es jetzt sehr viele neue Möglichkeiten." (Reinhard Kleindl, 29.4.2024)