Ein einzelner Mann, ein Bürger ohne politisches Amt und ohne großen Businesshintergrund, hat am Dienstagabend zu einer Demonstration vor der Oberstaatsanwaltschaft in Budapest aufgerufen. Tausende folgten seinem Ruf. Der Mann hatte enthüllt, dass staatsanwaltliche Ermittlungsakten mutmaßlich manipuliert wurden, um einen engen Mitarbeiter des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zu schützen.

Peter Magyar auf einer Demo in Budapest, im Hintergrund eine große EU-Flagge.
Péter Magyar rief zu einer Demonstration gegen Viktor Orbán auf – mehrere Tausend kamen.
REUTERS/Bernadett Szabo

Der Bürger Péter Magyar, ein Mann mit Insiderwissen, war bis vor kurzem mit der Ex-Politikerin Judit Varga aus Orbáns Fidesz-Partei verheiratet. Bis Juli des Vorjahres war sie Justizministerin. Im Vormonat schied sie ganz aus der Politik aus, weil sie an der Begnadigung eines Heimerziehers mitgewirkt hatte, der wegen Beihilfe zu Kindesmissbrauch verurteilt worden war. Amnestiert hatte ihn Staatspräsidentin Katalin Novák, die ebenfalls deshalb ihr Amt räumen musste.

Magyar hat von Varga offenbar viel über die korrupten Umgangsformen in Orbáns Machtzirkel erfahren. Seit dem politischen Sturz seiner Ex-Frau – das Paar ließ sich im Vorjahr scheiden – tritt Magyar als scharfer Kritiker des Orbán-Systems in Erscheinung. Als Fidesz-Renegat erfreute er sich einer stetig wachsenden Aufmerksamkeit. Mehrfach kündigte er Beweise an, die seine Behauptung untermauern würden, Ungarn sei unter Orbán zum "Mafiastaat" verkommen. Am Dienstag ging er mit einer Tonaufnahme zur Oberstaatsanwaltschaft, die er zeitgleich im Internet veröffentlichte.

Die Causa Schadl/Völner

Es handelt sich um ein Küchentischgespräch zwischen ihm und Varga, das er im Jänner 2023 ohne ihr Wissen aufgezeichnet hatte. Die beiden waren da gerade noch verheiratet, sie noch Justizministerin. Magyar sprach den Korruptionsfall um den ehemaligen Präsidenten der Gerichtsvollzieher-Kammer, György Schadl, an. Dieser soll den damaligen Vize-Justizminister Pál Völner bestochen haben, der dafür sorgte, dass die von Schadl protegierten Gerichtsvollzieher die lukrativen Lizenzen erhielten.

Das Tonbandgespräch, das Ungarns Politik trifft.
Magyar Péter Hivatalos

Schon bisher bestand der Verdacht, dass Schadl bei seinem korrupten Treiben den Schutz von Orbáns Kanzleiminister Antal Rogán genoss. Der enge Vertraute des illiberalen Regierungschefs ist seit mehreren Jahren für die Regierungs-PR und seit kürzerem auch für die Geheimdienste zuständig. Schadl und Völner flogen bei einer richterlich genehmigten Telefonabhörung wegen einer mutmaßlichen Korruptionsabsprache auf. Auch Rogáns Verstrickung soll dabei angesprochen worden und damit zunächst in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft eingegangen sein.

Gewaltvorwürfe an den Ankläger

Doch dabei blieb es nicht, wie Varga am Küchentisch eingestand. Rogáns Leute hätten nämlich alle konkreten Hinweise auf Rogán und sein Umfeld aus den Akten tilgen lassen. "Sie schlugen der Staatsanwaltschaft vor, was rausgestrichen werden müsse, und die hielten sich dort an all das." An einer Stelle fragt sie Magyar: "Ist die Staatsanwaltschaft unabhängig?" Sie antwortet: "Ja, aber Polt nicht." Péter Polt ist seit 2010 der Oberste Staatsanwalt und ein Orbán-Vertrauter.

"Sie schlugen der Staatsanwaltschaft vor, was rausgestrichen werden müsse, und die hielten sich dort an all das" – Orbáns Ex-Justizministerin Judit Varga auf Tonband.

Varga behauptete nach der Veröffentlichung des Tonmitschnitts am Dienstag, von ihrem damaligen Noch-Mann mehr oder weniger dazu genötigt worden zu sein, das zu sagen, was sie in dem Gespräch sagte. Ihre Stimme auf dem Band klingt allerdings nicht danach. Varga wiederholte ihre Behauptungen, dass ihr Ex-Mann ihr jahrelang häusliche Gewalt angetan habe, was trotz dreier minderjähriger gemeinsamer Kinder der Grund für die Scheidung gewesen sei. Ihre Aussage lässt sich derzeit ebenso wenig beweisen wie deren Leugnung durch Magyar.

Die Propagandamedien des Regierungsapparats schossen sich auf Magyar ein. Als "wahrhaft narzisstischen Psychopathen" beschimpfte ihn Orbáns Lieblingskommentator Zsolt Bayer. Kanzleramtsminister Gergely Gulyás spielte in einer Videobotschaft die Bedeutung der Tonaufnahme herunter: "Viel Lärm um nichts." Unabhängige Juristen dürften das anders sehen.

Handy-Leuchten in den Himmel bei einer Demo gegen Viktor Orbán.
Die Unzufriedenheit mit dem System Orbán besteht – wechselwillige Fidesz-Wähler aber bleiben vorerst Fabelwesen.
AFP/FERENC ISZA

Spannende Frage bleibt, ob die Ein-Mann-Show Péter Magyar zum politischen Faktor wird. Er hält derzeit strikte Distanz zu den Oppositionsparteien, die bei Wahlen immer wieder scheiterten. Trotz der Fidesz-Dominanz steigt aber die Unzufriedenheit, und sie lässt viele Menschen nach einem anderen Führer, einem Wunderwuzzi, lechzen. Doch der "enttäuschte Fidesz-Wähler", der zum Lagerwechsel bereit wäre, ist vorerst ein Fabelwesen. Viele hoffen trotzdem, dass Péter Magyar ihn aus der Welt der Mythen in den politischen Alltag locken kann. (Gregor Mayer, 27.3.2024)