Florentine Krafft und Iris Becher (re.) schaukeln ausgelassen auf Orangen-Abrissbirnen aus dem schönen Capri.
Florentine Krafft und Iris Becher (re.) schaukeln ausgelassen auf Orangen-Abrissbirnen aus dem schönen Capri.
Marcella Ruiz Cruz

Solange keine adäquaten politischen Lösungen dafür beschlossen werden, wird das Thema Care-Arbeit als Knackpunkt eines patriarchal-kapitalistischen Systems nicht verschwinden. Die Literatur hat schon ein Angebot: Im jüngsten Roman der Erfolgsautorin Mareike Fallwickl, Und alle so still, legen sich die Frauen einfach streikend zu Boden und tun nichts mehr. Gar nicht still wiederum und überaus diskursiv hebt das neue Theaterstück der Tiroler Autorin Anna Gschnitzer im Schauspielhaus Wien an. Auch in Capri, so der Titel, steht Care-Arbeit im Zentrum, literarisch aufgeschichtet entlang eines Roadtrips von Mutter und Tochter.

Gschnitzer (Jahrgang 1986) spielt mit der Science-Fiction-haften These, dass die Erschöpfung der gesamten weiblichen Familiengenealogie nun summarisch in ihrer persön­lichen Müdigkeit zum Ausdruck kommt. Die über die Generationen aufgetürmte Ermattung von mindestens Urgroßmutter, Großmutter und Mutter hat nun sie abgekriegt. Das derart beschwerte Ich ist das einer Autorin, die schnellstmöglich ihren nächsten Roman abzuliefern hätte. Eingezwängt steht sie zwischen Erfolgsdruck und "Kinderwunschdeadline", zwischen ihrer Arbeiterklassenherkunft und ihrem Aufstieg in eine intellektuelle Schicht.

Auf Orangen schaukeln

Um sich für ihren Roman Input zu holen, fährt die Ich-Erzählerin mit ihrer Mutter nach Capri – angeregt durch ein rätselhaftes Foto, das die Mutter, deren Familie sich nie einen Urlaub leisten konnte, als zehnjähriges Kind mit Sonnenbrille und Orangen im italienischen Küstenort zeigt. Wie das?

Die Orangen und auch die Blaue Grotte von Capri bindet Regisseurin Valerie Voigt in ihrer choreografischen, völlig abstrakten Uraufführungsinszenierung spielerisch als Elemente ein. Auf einer abschüssigen Rampe (Bühne: Thomas Garvie), die von den vier Darstellerinnen Iris Becher, Florentine Krafft, Sissi Reich und Ursula Reiter berutscht wird, über die sie aber auch auf Abrissbirnen-Orangen hinwegschaukeln, schaukelt und rutscht der Text mit. Er bekommt so für seine ab­strusen Erzählschlingen genug Raum und auch Halt.

Capri ist alles andere als ein Runterzieher. Mit Raffinesse verwebt die Autorin die anklagenswerte Lage schlecht oder unbezahlter Pflegearbeit mit einer exhibitionistischen Fahrt ins Blaue. Dabei hat sie Widersprüche auszufechten. Denn die Mutter, eine Putzkraft ohne Schulausbildung, will sich so gar nicht in das von der aufgeklärten Jungautorin entworfene Bild einer unterdrückten, ausgebeuteten Person fügen. Diese angespannt knisternde Tonlage und Dynamik des Textes würdigt Regisseurin Voigt mit ansteigender Konzentration. (Margarete Affenzeller, 9.5.2024)