Nemo.
Nemo aus der Schweiz hat den diesjährigen ESC gewonnen.
REUTERS/Leonhard Foeger

Am Ende verlief die Show ohne gröbere Zwischenfälle. Damit war kaum noch zu rechnen, nachdem dem diesjährigen Finale des Eurovision Song Contest zahlreiche Turbulenzen und Krisen vorangegangen waren. Die Aufregung um die israelische Teilnahme und die Disqualifikation des niederländischen Rappers Joost Klein offenbarten, dass die EBU (European Broadcasting Union) eine schlechte Krisenmanagerin war.

Auf dem Weg zur Malmö Arena mussten die Besucher in einer langen Warteschlange an propalästinensischen Demonstranten vorbeigehen. Es blieb zwar friedlich, israelische Fans packten ihre Fahnen aber lieber erst nach der Einlasskontrolle aus. War man einmal in der Malmö Arena angekommen, schien das Motto "United by Music" dann doch zu funktionieren.

Der Sieg Nemos

Nemo überstrahlte am Ende alles. Der nonbinäre Act aus der Schweiz überzeugte vor allem die Jurys mit dem Beitrag "The Code". Im Song beschreibt Nemo den Weg zur Selbsterkenntnis als nonbinäre Person. Die Inszenierung verlangte eine ungeheure Körperbeherrschung auf einer drehbaren Wippe. Dazu sang Nemo von Sopran bis Rap alle Stimmlagen. Dafür regnete es serienweise zwölf Punkte der Jurys. Diese reichten für den Gesamtsieg.

Nemo beim Song Contest.
Nemo trat mit "The Code" auf.
AP/Martin Meissner

Der letzte Schweizer Sieg gelang 1988 mit Céline Dion. Wo der Eurovision Song Contest 2025 stattfinden wird, ist noch nicht bekannt. Schweizer Medienvertreter nennen Basel als die wahrscheinlichste Austragungsstadt.

Weitere Platzierungen

Eine Parallele zum Vorjahr: Der Sieger des Televotes landete im Gesamtranking auf dem zweiten Platz. Die Industrial-Dance-Nummer "Rim Tim Tagi Dim" von Baby Lasagna war von Beginn an Favorit für den Sieg und führte bis zuletzt die Wettquoten an. Kroatien muss aber weiter auf einen ersten Sieg warten.

Die Ukraine wiederum hat bereits drei Siege und viele weitere hervorragende Platzierungen beim Song Contest ersingen können, auch das Frauenduo alyona alyona und Jerry Heil überzeugte. "Teresa & Maria" landete auf dem dritten Platz. Frankreichs Slimane verpasste mit Stimmgewalt und seiner Ballade "Mon Amour" knapp das Stockerl und wurde Vierter.

Israel war die große Unbekannte dieses Song Contest. Könnten Demonstrationen und Buhrufe gegen die Teilnahme von Eden Golan zu einer Solidaritätswelle führen? Auch die Buchmacher sahen kurz vor dem Finale Israel auf dem Vormarsch. Obwohl bei den Jurys nur mäßig erfolgreich, schien ein Sieg Israels sogar möglich zu werden. Im Televote lag das Land auf dem zweiten Platz, mit den Jurypunkten wurde es dann ein fünfter Platz.

Eden Golan singt auf der Bühne.
Eden Golan bei ihrem Auftritt in Malmö.
AFP/TT NEWS AGENCY/JESSICA GOW/T

Österreichs Kaleen Vorletzte

"We Will Rave" der Oberösterreicherin Kaleen war in den Eurovisionswochen ein Partyknaller, der auch in der Halle ordentlich einheizte. Doch jedes Jahr gibt es einen Beitrag, der in der Song-Contest-Bubble weit vorn liegt, aber bei den Punkten der Jurys und Televotes enttäuscht. Dieser "Fan Fail" genannte Titel geht wohl dieses Jahr an Österreich.

Kaleen auf der Bühne in Malmö.
Österreichs Kaleen wurde Vorletzte.
AFP/TT NEWS AGENCY/JESSICA GOW/T

Ob es an einer kleinen technischen Panne lag, als das TV-Bild einen Moment weltweit stillstand, am Song, an der Stimme oder an der sehr dunkel gehaltenen Inszenierung, ist am Ende wohl egal. Kaleen war nach der Show trotzdem gelöst und betonte, sie sei glücklich über ihren Auftritt. Diese Gelöstheit mag auch daran liegen, dass sie am Tag zuvor einen Plattenvertrag mit Global Records unterzeichnet hatte. Als österreichischer Zuschauer wird man über den vorletzten Platz wohl eher enttäuscht sein.

Verlierer EBU

In den Tagen vor dem Finale herrschte unter den Delegationen, Pressevertretern und Fans mehr Verzweiflung als Freude. Die Ereignisse überschlugen sich, doch seitens der EBU kamen höchstens kryptische Aussendungen. Es fand keine Kommunikation nach innen oder nach außen statt. Als Gehässigkeiten unter den Künstlern – vor allem gegenüber Eden Golan – zunahmen, schwieg Martin Österdahl, Supervisor und damit oberster Chef des Eurovision Song Contest.

Als Demonstrationen durch Malmö zogen und israelische Fans Angst hatten, schwieg er auch. Als es notwendig gewesen wäre, klare Worte zu finden und die Delegationen auf Zusammenhalt einzuschwören, hörte man nichts. Sogar die übliche Pressekonferenz der EBU wurde abgesagt.

Mit der Disqualifikation des Niederländers Joost Klein riss der Geduldsfaden der Fans endgültig. Womöglich erfolgte der Rausschmiss des Rappers zu Recht, aber jedenfalls gab es kaum Kommunikation, und bis heute herrscht vor allem Unklarheit über die Ereignisse. Dies eröffnete Räume für Spekulationen und Theorien. Der niederländische Sender Avrotros nannte die Entscheidung der EBU völlig unverhältnismäßig.

Die Konsequenz: Martin Österdahl wurde in der Arena mit einem Buh-Orkan konfrontiert, wie ihn noch nie ein Supervisor zu hören bekam. Mit einer gewissen Nostalgie denken viele an seinen Vorgänger Jon-Ola Sand. Von vielen Delegationen hört man die leise Hoffnung, jemand anderes könnte den Posten für den Song Contest 2025 in der Schweiz übernehmen. (Marco Schreuder, 12.5.2024)